Richard Jurtitsch
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Malerische Spiegel der Wirklichkeit
Richard Jurtitschs Gemälde fungieren als aufgeweichte Spiegel der gesehenen
Realität, sie sind keine reinen Dokumentationen sondern hybride Tableaus
zwischen Fiktion und Abstraktion, Metaphern des Blicks auf die Welt.
Seit den frühen 2000er-Jahren macht sich ein deutlicher Hang zum Realismus
breit, gespeichert vom fotografisch sachlichen Fokus auf das Visuelle.
Wir tauchen in private Räume ein, im historischen Ambiente voller
atmosphärischer Stimmung.
Die Bilder aus dem Werkzyklus Zu Gast gewähren uns den Einblick ins Intime,
Persönliche der feudalen Wohn-, Speise- und Arbeitszimmer von kulturellen
Größen wie etwa Karl Kraus. Stets schwingt ein Gefühl der Verlassenheit, des Abschieds mit; keine darin lebende Personen – Situationen der Vergänglichkeit. Robert Longo hatte einen eigenen Werkblock zu Siegmund Freuds Ordination in der Berggasse geschaffen, mit schwarzem Kohlestift, auratisch beklemmende Interieur-Impressionen.
Wie Longo fasst Jurtitsch seine Räume monochrom ein, feurig rot oder abgekühlt blau. Dadurch steigert der Künstler die Bildautonomie – der unifarbiger Einsatz als wesentlicher Aspekt der Abstraktion. Man denke an Rodtschenkos monochrome letzte Bilder von 1921, Ad Reinhardts Black Paintings oder Yves Kleins IKB-Blau. Eine adäquate Buntfarbigkeit im Sinne des fotografischen Ablichtens würde dem Bild seine autarke Natur und auch seinen zeitlosen Anspruch entziehen.
Durch den Pinselzug stellt Jurtitsch automatisch auf den Weichmacher, anstelle
der scharfen Darstellung von Stuhl, Tisch und Bücherregal: auch hier ein pro piktorialer malerischer Aspekt. Der Spiegel der Realität wird sanft aufgelöst ohne unsere Welt zu leugnen. Überhöht theatralisch fallen die Lichtkegel in die Zimmer ein, wodurch ein gewisser surreal-mystischer Zug intensiviert wird.
Neben den durchwegs klar wiedergegebenen Zimmerbildern entstehen komplexere
Versionen mit motivisch-räumlicher Überlappung. Das Fenster wird zur multiplizierten Projektionsfläche der gesehen Wirklichkeit. Manchmal fungiert dann die Leinwand als mentale Erinnerungsfläche – wie zum Beispiel im Zyklus Im Besitz von, auf der etwa ein Wohnzimmer mit Inventar mit einem Gemälde eines Alten Meisters verflochten wird. So nimmt die Rubens-Venus imaginär Platz auf dem Thonet-Sessel. Dieses kombinatorische System ist schon in Jurtitschs früheren abstrakt-ornamental-organischen Arbeiten aus den 1990er-Jahren anzutreffen.
Der Künstler collagiert mit der Ölfarbe auf atmosphärisch pulsierenden Farbräumen unterschiedliche Motive – florale, geometrische Muster, organische Formen – zu einer freien Komposition. Auch in dem ein oder anderen aktuellen Werk organisiert der Künstler die Bildfläche als streumusterartiges All Over, wenn auch mit „naturalistischem“ Raumbezug. Es handelt sich um Blumensträucher und
Schmetterlinge vor Mauern und Vorhängen im verführerischem Licht-Schattenspiel.
Die Blüten changieren zwischen plastischer Realität, detaillierter Stofflichkeit und
ornamentaler Zeichenhaftigkeit und Zweidimensionalität. Das Gemälde im weichen
Pinselzug wird zur lyrischen Impression der Natur. In den rezenten Gestrüpp-Bildern
erlebt das Lichtspiel eine intensive Steigerung. Die Sonnenstrahlen lösen förmlich den Gegenstand des Gestrüpps auf, zerlegen ihn in reine Licht- und Schattenflecken.
Das Auge scheint überfordert zu sein – wie blinde Flecken auf der Retina.
Die Vorhang-Fensterbilder, die der Maler in Miramare und Tuilno geschaffen hat,
sind gleichsam Metaphern des Blicks; der Fensterrahmen definiert den abgebildeten Ausschnitt der Realität, wir schweifen in die Ferne, der Vorhang, verschleiert hingegen den ungetrübten Landschaftsblick, macht das Bild unscharf, malerisch, abstrakter.
Trotz aller Klarheit und allem Detailreichtum von Geäst, Steinen, Wiese und
Wasserspiegelungen stellt sich eine unheimlich melancholische Stimmung in
Jurtitsch neuen Brückenbildern ein. Es sind verwunschene Orte, romantische Plätze
aus einer längst vergangene Zeit mit Zauber und verborgenen Geheimnissen, die seine Malerei vor Augen führt.
Jurtitschs Kunst bleibt somit stets ein Vexierbild zwischen Sichtbarem und Verhülltem, Rekonstruktion von Welt und freier Bilderfindung. (Florian Steininger)

www.jurtitsch.at